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Social Media: Höllenfeuer oder Segen?

Vom Papst, Peter Lustig und Pippi Langstrumpf.

Je mehr wir soziale Medien benutzen, desto weniger sozial verhalten wir uns. Das sagte jüngst Papst Franziskus. Und obwohl nicht katholisch, machte mich dieser Satz sehr nachdenklich. Schließlich habe ich mich doch beruflich dem Einsatz für eine bessere Nutzung von Social Media verschrieben. Doch was heißt schon „besser“? Bleiben soziale Medien nicht vom Wesen her selbstregulierend? Sind sie deshalb nicht beeinflussbar? Und was meint Papst Franziskus, wenn er von der Nutzung digitaler Medien auf das analoge Verhalten schließt?

Dabei ist dieser Gedanke – mit Verlaub, Papst Franziskus – ja alles andere als neu. Ich selbst zweifle regelmäßig, ob das was ich tue – also meine Expertise, meine Kreativität und meine Leidenschaft für bessere digitale Kommunikation einzusetzen – eigentlich sinnvoll ist und ob eine Welt ohne Facebook, Twitter und Instagram nicht besser wäre. Dabei neige ich zu einem relativ klarem Ja. Ja, unser Leben wäre ohne tagtägliches stundenlanges Betrachten sinnfreier Fotos und Filme anderer Menschen, die sich schminken, essen oder einfach nur anlasslos in die Kamera grinsen, sicherlich besser. Oder es würde sich zumindest kurzfristig besser anfühlen. Und ohne Cyber-Mobbing oder rassistische und faschistische Hate-Speech sowieso. Die Frage, die sich im Zusammenhang mit Papst Franziskus These stellt: Was würden die Menschen, die dafür sorgen, dass Social Media so ein Marktplatz asozialer Verhalten und Meinungen geworden ist, denn ansonsten tun? Wäre auch nur eine so genannte Influencerin ansonsten Lifeline-Kapitänin geworden? Vermutlich nicht. Und die vielen rechtsradikalen Trolls? Die sicher noch weniger. Aber sie wären vielleicht eben auch keine rechten Trolls geworden. Weil sie vielleicht weniger aufgehetzt geworden wären durch das, was sie über soziale Medien zu lesen bekommen. Denn wir wissen alle, dass soziale Medien Rechtspopulisten und Rechtsradikalen helfen, sich zu organisieren und sogar zu vermehren. Sie werden genutzt, um Hass zu säen, um zu mobben, um scheinbar anonym schlecht und böse zu sein. Seien wir ehrlich: Social Media ist bislang ein ganz schöner Scheiss. Es ist ein einziger Moloch: eine einzige gnadenlose, alles verschlingende böse Macht. 

Könnte man Social Media abschalten, man würde tatsächlich die Welt verbessern. Wir würden sie beruhigen. Man könnte meinen, wenn man es abstellt, würde man noch tagelang den Dampf des damit erlöschenden Höllenfeuers über Städte und Dörfer ziehen sehen. 

Ja, man wünscht sich einen riesigen Peter Lustig, der uns alle auffordert, auch ja abzuschalten.

Die Sache ist nur: wir können es nicht einfach abschalten. Es ist ein Medium, das uns Probleme offenbart, die es zu lösen gilt. Und zwar konstruktiv. Nicht mit Verboten oder Zensur. Schließlich sind soziale Medien sehr bewegliche, lebendige und verhältnismäßig freie digitale Organe. Noch gleichen sie oft riesigen verseuchten Schwimmbecken. Es bedarf Überwindung und festen Willen, wenn man dort hineinspringt. Will man sich nicht von der ätzenden Tonalität und stinkenden Formaten anstecken lassen, sollte man aufpassen und gut vorbereitet sein. Nicht selten steigen Menschen mit guten oder harmlosen Absichten in dieses Becken und sind schnell kontaminiert. Dagegen gibt es gute Mittel und sie werden immer besser. Und seit neuestem gibt es auch Hoffnung. Und wie so oft in der Geschichte musste etwas unglaubliches passieren, um die Welt zu retten.

Man stelle sich vor, ein junges Mädchen malt sich ein Pappschild, streikt die Schule, um gegen etwas gegen den Klimawandel zu tun. Das klingt für fast alle von uns, erstmal furchtbar naiv. Das klingt nach schlechter Pippi-Langstrumpf-Analogie und ist wohl kaum eine Nachricht wert. 

Ein paar Wochen später demonstrieren weltweit – in nahezu jedem Land der Erde – jede Woche Millionen von Schülerinnen und Schülern gegen die Politik derjenigen, die nicht genug gegen den Klimawandel tun. Sie kämpfen für ihre Zukunft. Und folgen dem jungen Mädchen aus Schweden, die inzwischen auf der ganzen Welt so bekannt ist wie Pippi Langstrumpf. 

Und das wäre sicher nicht ohne soziale Medien möglich gewesen. Ohne Social Media kein Fridays for future, kein Rezo-Video, keine Klima-Denkzettel bei der Europawahl, keine neue, weltweite Umweltbewegung. Vielleicht – so ist zu hoffen – bleibt uns also doch das Höllenfeuer erspart und wir retten stattdessen unseren Planeten, unsere Zukunft. Mit Social Media. Denn, lieber Papst, lieber Robert Habeck, liebe Annegret Kramp-Karrenbauer: es ist nicht der Kanal, nicht das Medium, nicht die Technologie – es sind die Menschen, die sie nutzen und ihre Botschaften. Für die richtigen und wichtigen Botschaften kann Social Media ein Segen sein. 

Ja, der Papst weist zurecht darauf hin, wie sehr gerade das Schlechte im Menschen durch Social Media verbreitet wird und schlimme Folgen für die analoge Welt hat. Aber wir können es eben auch nutzen, um die Welt zu retten. Und während Politiker, Päpste und andere Machthabende noch mit dem Medium hadern, hat eine ganze Generation einfach damit angefangen.